Science and Cases in Wien – Spannende Fälle in entspannter Umgebung

27.10.2015

Am 21. Oktober 2015 fanden sich gut 35 TeilnehmerInnen im 25hours Hotel im 7. Wiener Gemeindebezirk ein, um zum letzten Mal in diesem Jahr bei „Science and Cases“ dabei zu sein.

In der gemütlichen, in Shabby-Chic eingerichteten Lounge im Keller des Hotels fand der Empfang statt, wo sich schon die ersten Diskussionen über die mitgebrachten Fallpräsentationen ergaben. Mit den vereinten Kräften der Vorsitzenden Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, MPH und Univ.-Prof. Dr. Günther Steger gelang es schließlich, die BesucherInnen aus den Sitzecken und von den bunten Pölstern zu lösen und in den farbenfrohen Seminarraum zu geleiten.

eBC im neoadjuvanten Setting

Den ersten Case Report brachte OÄ Dr. Ursula Denison, die gespannt darauf war, was die Arbeitsgruppen, die ohne GynäkologInnen auskommen mussten, ausarbeiten würden. Es ging um eine 38-jährige Patientin mit einem 3cm großen, invasiv-ductalen Mammakarzinom in der 15. Schwangerschaftswoche. Brustkrebs kam in der Familie schon vor (die Schwester erkrankte mit 40 Jahren), die Stanzbiopsie ergab ein hormonrezeptor-positives Karzinom, FISH positiv und Ki67 bei 60%. Nach dieser kurzen Vorstellung kamen schon die Fragen für die Arbeitsgruppen: Wie gehen Sie vor? Welches operative Vorgehen? Welche medikamentöse Therapie(n)? In welcher Reihenfolge? Was ist zu bedenken?
Die drei Gruppen zogen sich zur Beratung für zehn Minuten zurück, nur eine davon war in der vorteilhaften Situation, eine Gynäkologin im Team zu haben.

Die gelbe Gruppe tendierte zu einer „schwangerschaftsadaptierten“ neoadjuvanten Therapie, wobei Dr. Dension gleich nachfragte, was unter „schwangerschaftsadaptiert“ zu verstehen sei: Behandlung mit Trastuzumab, genetische Abklärung, Kind vorzeitig entbinden, dann operieren.

Auch die rote Gruppe empfand den Fall als sehr knifflig und würde mit der Patientin auch die Option eines Schwangerschaftsabbruchs besprechen. Ansonsten wurde eine Therapie mit Pertuzumab favorisiert, Dr. Denison warf allerdings ein, dass der Fall aus dem Jahr 2012 stammt und das Medikament damals noch nicht zugelassen war. Die Vorsitzenden sahen das nicht so eng, da der Fall sehr herausfordernd war und in diesem Rahmen nicht unbedingt weiter erschwert werden sollte.
Auch das Team Rot schloss damit, die Schwangerschaft einzuleiten und das Kind frühzeitig zu entbinden.

Die Gruppe Grün hatte nun gynäkologischen Beistand und hielt gleich fest, dass Trastuzumab in der Schwangerschaft nicht optimal ist. Wenn die Patientin das Kind behalten möchte, kann man noch während der Schwangerschaft im Anschluss an eine EC-Therapie operieren. Wichtig ist jedenfalls ein Gentest und dass keine Antikörper gegeben werden.

OÄ Denison gratulierte allen Gruppen, besonders natürlich dem grünen Team, das der tatsächlichen Behandlung am nächsten kam.
Es gab keinerlei Grund, die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden, Brustkrebs ist keine medizinische Indikation für einen Abbruch in der 15. Woche. Im Hinblick auf die Lungenreife des ungeborenen Kindes ist es auch wichtig, jedenfalls die 37. Woche zu erreichen, es gibt andernfalls auch eine Vielzahl zusätzlicher Probleme.

Daher wurde die Patientin neoadjuvant mit einer Chemotherapie behandelt (4EC+4T+H), dann operiert und erhielt im Anschluss eine antihormonelle Therapie (Tamoxifen + Goserelin) plus Zoledronat.
Trotz der mittlerweile fortgeschrittenen Zeit wird die Diskussion im Plenum fortgesetzt, weil es ein derart spannender und interessanter Fall ist. Als Fazit lässt sich jedenfalls festhalten, dass die Datenlage für Brustkrebs in der Schwangerschaft unzureichend ist, da es keine randomisierten Studien gibt. Worin sich die ExpertInnen jedoch einig sind, ist, dass während der Schwangerschaft jedenfalls kein Trastuzumab gegeben und dass während der Therapie nicht gestillt werden darf.
Als sehr erfreulichen Abschluss ihrer Präsentation zeigte Dr. Denison übrigens noch ein aktuelles Foto des Kindes, dem es hervorragend geht. Auch die Mutter ist mittlerweile wieder wohlauf.

eBC im adjuvanten Setting

Nach diesem ermutigenden Ergebnis ging es auch schon zum nächsten Fall, der von der jungen Chirurgin Dr. Stephanie Strobl vorgestellt wurde. Eine 44-jährige prämenopausale Patientin wurde wegen Galaktorrhö der rechten Brust vorstellig, im Zuge der weiteren Abklärung entdeckten die Behandler einen Knoten. Die Biopsie ergab ein mittelhoch differenziertes, intraductales Mammakarzinom (DCIS G2; B5a ER++, PR++, HER2 +++, p53+, MIB 40%). Natürlich wurde ein komplettes Staging durchgeführt, aber wie sollte es nun weitergehen? Welche OP-Technik und welche adjuvante Therapie würden die Gruppen vorschlagen?

Nach wenigen Minuten musste Univ.-Prof. Dr. Reiner, der als Gruppensprecher des grünen Teams für die kurzfristig verhinderte Priv.-Doz. Dr. Regina Promberger-Ott eingesprungen war, einräumen, dass man sich in seiner Gruppe nicht einigen konnte. Für eine brusterhaltende Operation (BET) sprach die große Brust, dagegen allerdings das maligne Sekret. Eventuell also doch eine endokrine Therapie? Einig war man sich beim Sentinel und dass nur im Fall einer BET eine Bestrahlung in Frage kommt.
Dr. Andrea Jelen sprach für die Gruppe Rot und diese sah eine Ablatio jedenfalls indiziert und würde auch eine Sofortrekonstruktion empfehlen, wenn das die Patientin wünscht. Verwundert war sie über die HER2-Bestimmung bei einem DCIS, diese sei in dem Fall irrelevant.
Dr. Belgin Korkmaz fasste die Ergebnisse der Diskussionen in der gelben Gruppe zusammen: keine BET, aber Sentinel. Ob eine Rekonstruktion überhaupt möglich ist, würde man anhand der Histologie entscheiden, als adjuvante Hormontherapie sollte man Tamoxifen einsetzen.

Dr. Strobl lieferte die Auflösung: Vorgenommen wurde eine skin-sparing Mastektomie mit Sentinel-Lymphknotenbiopsie und Sofortrekonstruktion mit freiem mikrovaskulärem Unterbauchhautlappen (DIEP-Flap), das Ergebnis wurde auch anhand von Vorher-Nachher-Fotos veranschaulicht. Die Histologie ergab, dass mindestens 10cm von intraductalen Tumorformationen durchsetzt waren sowie pN0 (i+) isolated tumorcells in einem von drei Sentinellymphknoten. Als adjuvante Therapie wurde daher Tamoxifen für fünf Jahre gewählt, die isolated tumourcells im Sentinel bedürfen keiner weiteren Therapie. Als Nachsorge wurden jährlich Mammo- und Sonografie vereinbart, sowie halbjährliche gynäkologische Kontrollen.

Aus dem Publikum kam nach diesem positiven Abschluss des Falls noch die Frage, ob man auf Wunsch der Patientin denn auch kontralateral mastektomiert hätte? Vorsitzender Prof. Gnant war kurz sprachlos, bevor er gegen diese leider immer öfter um sich greifende, allerdings völlig sinnlose Maßnahme Stellung bezog. Für dieses Vorgehen gibt es keinerlei Indikation, es ist im Gegenteil höchst unethisch und durch ausführliche Patientinnenaufklärung auch abzuwenden.

Zur HER2-Bestimmung bei einem DCIS wurden die anwesenden Pathologinnen von Prof. Singer befragt – wieso wird das überhaupt berichtet? Auch Prof. Steger brachte sich ein: Immer öfter liest man in Befunden „schwach positiv“, was genau wie „schwach schwanger“ nicht existiert und darüber hinaus die KlinikerInnen verwirrt. Er bat die Expertinnen, diesen Wunsch nach mehr Klarheit weiterzusagen.

Case Report mBC 1st Line

Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Georg Pfeiler war der nächste Referent und stellte eine 68-jährige Patientin vor, die im Jahr 2004 selbst einen Knoten in der Brust ertastet hatte. Weitere Untersuchungen ergaben ein invasiv ductales Mammakarzinom (pT1c, G3, R1 (medial), pN1 (1/2), ER ++, PR ++, HER2neu +++, Ki-67 40%), das mit Chemotherapie, Bestrahlung und Aromatasehemmern. Zehn Jahre lang gab es keine Probleme, im September 2014 allerdings wurde die subjektiv beschwerdefreie Patientin wegen einer suspekten Computertomografie von Thorax und Abdomen wieder in die Ambulanz überwiesen. Dort stellte man Herde in der Lunge und Leber fest. Sollte man sie nun behandeln? Wenn ja, wie?

Team Rot sprach sich klar für eine Therapie mit Trastuzumab aus, Gruppe Gelb wollte zuerst eine Leberbiopsie, bei positivem Befund eine Chemotherapie mit Taxanen, gefolgt von Fulvestrant. Die grüne Gruppe war mit diesem Vorgehen einverstanden, eventuell wäre auch gleich eine duale Blockade sinnvoll, möglicherweise doppelt moduliert. In diesem Board sah man mehrere Optionen für die Therapie.
Prof. Pfeiler löste auf: Natürlich wurde eine Leberbiopsie vorgenommen, die passend zu einem Mammakarzinom ausfiel. Und es wurde auch therapiert, und zwar mit Trastuzumab + Pertuzumab + Docetaxel so lange, bis es zu einem Progress oder zu Nebenwirkungen kommt. Falls eine Remission eintritt, würde man auf Docetaxel verzichten und nur Trastuzumab + Pertuzumab verabreichen, da gibt es auch entsprechende Studiendaten, die dieses Vorgehen bestätigen.

Case Report mBC 2nd Line

Den nächsten, ganz aktuellen Fall präsentierte OÄ Dr. Kathrin Strasser-Weippl: Im September 2015 wurde eine 79-jährige, klinisch beschwerdefreie Patientin vorstellig, die einige Monate zuvor bereits wegen eines invasiven Mammakarzinoms mit Letrozol behandelt wurde. Nun war eine lokale Progression zu beobachten, sowie eine Osteolyse der Rippe.
Die zahlreichen Komorbiditäten der Patientin ließen das Publikum staunen: Adipositas, Diabetes, chronische Niereninsuffizienz, dilatative Kardiomyopathie, arterielle Hypertonie, Brady-Tachy-Syndrom, permanentes Vorhofflimmern sowie Struma parva multinodosa – 14 Präparate umfasste die Medikamentenliste. Die Patientin war allerdings sehr compliant und fühlte sich auch eigentlich gut. Wie sollte man nun therapieren?

Die gelbe Gruppe tendierte zu Trastuzumab mono plus Strahlentherapie, das rote Team würde ebenfalls mit Trastuzumab behandeln, allerdings plus Paclitaxek, weil das für die Niere verträglicher ist. Auch TDM-1 könnte man andenken. Die Grünen würden mit der Patientin klären, ob sie überhaupt behandelt werden möchte, wenn ja, dann ebenfalls mit Trastuzumab, TDM-1 würde man als Alternative andenken, auch eine Bestrahlung würde dieses Team empfehlen.

Prof. Singer warf noch ein, ob denn alle Gruppen die Osteolyse ignorieren würden? Alle drei riefen wie aus einem Mund „Denosumab“, was das Publikum erheiterte und die Vorsitzenden zufriedenstellte. Es wurde als Nachsatz noch eingeräumt, dass es keinerlei Datenlage zur Therapie unter Niereninsuffizienz gibt und das in dem Fall sicher eine Herausforderung darstellt.

Bei der Auflösung wurde deutlich, dass man sich auch im Tumorboard des Wilhelminenspitals viele Gedanken gemacht hat. Laut Guidelines wäre die systemische Therapie mit Trastuzumab + Pertuzumab + Docetaxel empfohlen, insgesamt haben sich acht Therapieoptionen ergeben. Es kamen daher einige Überlegungen hinsichtlich Quality of Life, Lebenserwartung, Nebenwirkungen u. a. zum Tragen. Alopezie war für die Patientin zum Beispiel kein Problem, die Lebensqualität zu erhalten, stand für sie jedoch im Vordergrund. Man entschied sich also für Trastuzumab + Pertuzumab + Docetaxel wöchentlich, im 1. Zyklus Trastuzumab plus Docetaxel wöchentlich, dann erst mit Pertuzumab. Ein engmaschiges Monitoring der Nierenfunktion ist obligat, bei Auftreten von Diarrhö würde man die Patientin sofort stationär aufnehmen. Auch über diesen Fall wurde noch intensiv diskutiert, aufgrund der Aktualität konnte OÄ Strasser-Weippl aber keine darüber hinaus gehenden Informationen zum Verlauf liefern.

Case Report High Risk

Den Abschluss machte Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Rupert Bartsch, der in seinem Vortrag gleich zwei High-Risk-Fälle zusammenfasste. Die erste Patientin war 48 Jahre alt als bei ihr ein Mammakarzinom festgestellt und sie mit neoadjuvanter Chemotherapie behandelt wurde. Mit der Frage nach der richtigen Therapie wurden die Arbeitsgruppen in die Diskussionen geschickt.
Rot präferierte eine Therapie mit Epirubicin und Cyclophosphamid, gefolgt von Paclitaxel und Carboplatin. Das Team konnte sich allerdings nicht einigen, ob zusätzlich Bevacizumab verabreicht werden sollte. Bei der Gruppe Gelb war das hingegen eindeutig, EC+TCarbo+Bev. Die grüne Gruppe würde die Therapie vom Ergebnis der BRCA-Testung abhängig machen: Bei negativem Ergebnis Epirubicin, bei positivem noch zusätzlich Paclitaxel und Carboplatin.

Die Auflösung brachte unerwartete Entwicklungen: Man ging bei dieser Patientin, die übrigens BRCA-negativ war, nämlich von einem eher unkomplizierten Verlauf aus, allerdings trat bald ein Rezidiv auf, nach einer Mastektomie wurde es sogar noch schlimmer und in der Lunge wurden Lymphangiosis carcinomatosa gefunden, palliative Therapieversuche scheiterten und die Patientin verstarb. Prof. Bartsch räumte ein, dass niemand weiß, warum.

Die zweite Patientin (38 Jahre, BRCA-positiv) wurde hingegen als Hochrisikofall eingestuft, war schon familiar vorbelastet und an einem metaplastischen Mammakarzinom erkrankt. Nach der neoadjuvanten Therapie mit EC+Bevacizumab, gefolgt von Paclitaxel und Carboplatin plus Bevacizumab wies sie eine klinisch gute Remission auf, tolerierte auch die Behandlung gut und ist aktuell beschwerdefrei.

Nach diesem nun doch noch relativ guten Ausgang gab es noch eine kurze Abschlussdiskussion, bevor sich die Vorsitzenden bei allen Anwesenden bedankten und man sich in der Lounge beim hervorragenden Buffet noch weiter besprechen konnte.

Die interaktive Ausrichtung dieser Fortbildungsveranstaltung kam auch in Wien sehr gut an und wird im nächsten Jahr fortgesetzt – wir freuen uns, wenn Sie wieder mit dabei sind!

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